Die Anfänge der Turnbewegung in Deutschland sind eng mit den politischen und gesellschaftlichen Verhältnissen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts verknüpft. Gegen Ende der napoleonischen Kriege hatten sich mehr als 1.500 souveräne deutsche Staaten gebildet, zumeist Zwergstaaten, die vor allem den Bedürfnissen ihrer Machthaber dienten.

Die damals von Friedrich Ludwig Jahn (1778-1852) in Berlin ins Leben gerufene Turnbewegung fühlte sich den nationalen Parolen „Ehre, Freiheit, Vaterland“ verpflichtet. Jahns Ziel war nicht nur eine körperliche Ausbildung, sondern den ganzen Menschen wollte er zum tüchtigen Bürger formen, mit offenem Sinn für die Schönheiten der Natur. Das herausragende Verdienst Jahns ist aber sozialpolitisch in der Öffnung des Turnens für alle Gesellschaftsschichten zu sehen. Dieser Jahn’sche Geist erfasste rasch große Teile der deutschen Jugend. In den großen Städten wurden die ersten Turnvereine gegründet. Zwei Vereine der damaligen Epoche bestehen noch heute: die Hamburger Turnerschaft von 1816 und der Mainzer Turnverein von 1817.

Freilich war Jahn niemals unumstritten. Sein Streben nach Einheit und Freiheit verkörperte die Sehnsucht vieler Landsleute, erregte aber immer wieder den Argwohn der Regierungen. Seine Deutschtümelei und die bedingungslose Ablehnung aller fremden und besonders französischen Einflüsse erscheinen uns heute überspannt und stießen auch schon damals auf Kritik im freiheitlichen und demokratischen Lager.

Die Entwicklung des Turnens wurde durch innenpolitische Verhältnisse geprägt.

Die weitere Entwicklung des Turnens wurde durch die innenpolitischen Verhältnisse der deutschen Staaten bestimmt. Das Misstrauen der Herrschenden richtete sich gegen alle freiheitlichen Regungen und rückte Jahn und seine Anhänger, die mit unterschiedlichen Auffassungen am bewegten politischen Leben Anteil nahmen, in die Nachbarschaft revolutionärer politischer Aktivisten.

Die rasante Industrialisierung ab etwa 1830 brachte wirtschaftlichen Aufschwung, schuf aber zugleich gewaltige soziale Probleme. Die Menschen, die von der durch die Industrialisierung ausgelösten Krise unmittelbar betroffen waren, die einfachen Bürger und insbesondere die Industriearbeiter suchten und fanden in den Turnvereinen eine sportliche Heimat.

Der am 10. November 1859 gefeierte 100. Geburtstag Friedrich Schillers gab der nationalen Bewegung in Deutschland neuen Auftrieb. Die Vereine der Turner, Sänger und Schützen bildeten regionale und nationale Dachorganisationen. In dieser Zeit entstanden in Deutschland etwa 300 Turnvereine, mit Schwerpunkt in Süddeutschland.

Überall wurden Turnplätze eingerichtet. Auch im Rhein-Main Gebiet bildeten sich die ersten Vereine. Das Turngeschehen im hiesigen Raum ist eng mit dem Namen des Frankfurter Verlegers August Ravenstein verknüpft, der 1844 auch das Feldbergfest als ältestes deutsches Bergfest ins Leben rief. Das Turnerkreuz mit den vier F »frisch – fromm – fröhlich – frei« wurde 1844 eingeführt und symbolisierte die geistig-sittliche Haltung der Turner.

Der Druck der Obrigkeit auf die Turner und ihre Vereine ließ nur allmählich nach. Die auf dem Gebiet des Deutschen Bundes Anfang 1820 erlassene Turnsperre, d.h. Verbot des Turnens, wurde in Preußen im Jahre 1842, in Hessen-Nassau dagegen offiziell erst 1860 aufgehoben. Doch schon vor 1860 gab es im Nassauer Land mehrere Vereinsgründungen; so besteht der TV Wicker seit 1848. Im Jahr der bürgerlichen Revolution von 1848 fand am 7. Mai der 1. Nassauische Turntag auf Schloss Oranienstein bei Diez statt. Es kam dort zur Gründung eines Bezirksverbandes von 23 nassauischen Turnvereinen. Anlässlich des ersten Deutschen Turnfestes in Coburg wurde 1860 der Grundstein zur Deutschen Turnerschaft gelegt. Das glänzend verlaufene Coburger Fest übte eine gewaltige Wirkung aus, und es entstanden überall neue Vereine, so auch im Gebiet Main-Taunus. 1860 ist das Geburtsjahr vom TV Hofheim, 1861 von der TSG Eppstein und vom TV Flörsheim.

Die regionalen und nationalen Verbände schufen die organisatorischen Voraussetzungen für neue Vereinsgründungen. Es wurden Kreis- und Gauturnwarte ernannt, regelmäßige Bestandserhebungen durchgeführt. Vorturnerlehrgänge sicherten die turnerische Ausbildung. 1879 wurden die Musterriegen geschaffen, die 1880 auf dem Deutschen Turnfest in Frankfurt zu sehen waren.

Als Folge der industriellen Revolution und der Kriege von 1866 und 1870/71 wuchsen die innenpolitischen Spannungen in Deutschland. Die durch die industrielle Revolution neu entstandene Klasse der Industriearbeiter fühlte sich in vielen Bereichen des politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens von den Besitzenden ausgegrenzt.

Lorsbach erlebt den Wandel hin zu Industrialisierung

Lorsbach blieb von diesen strukturellen Veränderungen und dem Wandel der bäuerlich geprägten Beschäftigungsstruktur nicht verschont. Hier gab es seit 1881 in der Trutzmühle eine erste Lederfabrik, die eine für damalige Verhältnisse große Zahl von Arbeitern beschäftigte. In den folgenden Jahren wurden auch in den anderen ehemaligen Mühlen Lorsbachs Lederfabriken eingerichtet. Als Folge der Ansiedlung der Lederindustrie stieg die Einwohnerzahl Lorsbachs rasch.

Bis zum Jahr 1875 gab es mit ca. 460 Einwohnern keine nennenswerten Veränderungen. Im Gründungsjahr des Turnvereins 1885 waren es bereits 585, 1890 621 und 1900 schon 806 Einwohner. Zu dieser Bevölkerungsentwicklung hat sicher auch die im Jahre 1877 in Betrieb genommene, durch Lorsbach führende Eisenbahnline von Frankfurt nach Limburg beigetragen. Sie erlaubte den Lorsbacher Arbeitern zu ihren zumeist in Frankfurt-Höchst liegenden Arbeitsstätten wie auch den vielen auswärtigen Lederarbeitern zu ihren Arbeitsplätzen nach Lorsbach zu pendeln.